Bericht "Besteigung des Mont Blanc (4810 m)"

Nach rund zwölfstündiger Autofahrt treffen Jürgen, Mathias und ich in Chamonix ein, wo wir bereits von Günter - unserem vierten Mann im Bunde - erwartet werden. Am nächsten Morgen beginnen wir unser Akklimatisationsprogramm mit einem Aufstieg zur "Refuge Albert 1er" (2702 m). Die Hütte liegt direkt am Rand des Glacier du Tour, den wir am Nachmittag zur Höhenanpassung noch rund 300 m hinaufsteigen. Zudem weiht uns Jürgen in die grundlegendsten Handgriffe einer Spaltenbergung ein, die wir anschließend übungsmäßig durchzuführen haben. Solchermaßen geschult kehren wir um und sonnen uns noch ein paar Stunden auf der Terrasse der Hütte. Beim Abendessen stellt sich dann heraus, dass die Hütte über mehr Lager- als Sitzplätze verfügt, so dass das Essen in 2 Schichten serviert werden muss. Die jeweils andere Schicht muss also auf der Terrasse sitzen oder in den Lagern herumlungern!

Nach einer schlaflosen Nacht brechen wir noch vor Sonnenaufgang zu unserem heutigen Tagesziel der Aiguille de Tour (3542 m) auf. Dazu steigen wir kurz zum Glacier du Tour hinab und danach in einem langen Bogen am rechten Gletscherrand zum Col du Tour (3282 m) hinauf. Es ist nebelig mit leichtem Nieselregen, der sich aber bald nach Sonnenaufgang verzieht. Am Col du Tour überschreiten wir die Landesgrenze zur Schweiz, wenden uns nach Norden und steigen weiter unserem Ziel entgegen. Es sind einige Seilschaften vor und hinter uns, so dass es sich bei der Kletterpassage zum Gipfel der Aig. du Tour ordentlich staut. Um 8:45 Uhr haben wir es aber dann doch noch geschafft, auf der "Nadelspitze" für ein paar Fotos Platz zu nehmen. In der Zwischenzeit haben sich die Wolken fast vollständig aufgelöst, was uns eine atemberaubende Aussicht beschert. Im Osten, ca. 300 m unter uns, erstreckt sich das weite Plateau du Trient, das wir nach dem Abstieg überqueren und nach ca. 2 Stunden bei der gemütlichen "Cabane du Trient" ankommen lässt. Hier quartieren wir uns für die nächste Nacht ein. Am Nachmittag nehmen wir nocheinmal die Gelegenheit wahr, unser mittlerweile erworbenes Wissen um die Spaltenbergung zu vertiefen.

Am nächsten Tag wechseln wir von der Cabane du Trient zur "Refuge des Cosmiques" (3613 m). Dazu müssen wir zurück ins Tal nach Chamonix, mit der Seilbahn zur Aiguille du Midi auffahren und dann zur Hütte ab- bzw. aufsteigen. Pünktlich mit unserem Aufbruch von der Trient-Hütte beginnt es zu regnen, der später wieder aufhört und uns hoffen lässt, trocken im Tal anzukommen. Dem ist aber nicht so! Kurz nachdem wir wieder die Refuge Albert 1er passiert haben, beginnt es dermaßen zu schütten, dass wir völlig durchnässt in Le Tour ankommen. Wir wissen, dass es nur schwer möglich sein wird, auf der Cosmiques-Hütte unsere Ausrüstung zu trocknen. Um nicht unsere weiteren Planungen zu gefährden, beschließen wir in Chamonix unser Equipment teilweise zu erneuern bzw. zu ergänzen. Natürlich haben wir auch ganz dringend ein paar Biere nötig! ;-)
Die Auffahrt mit der Seilbahn ist wirklich spektakulär, auch wenn die Aussicht auf Grund der Wolken sehr beschränkt ist. Oben angekommen seilen wir uns an, um über den messerscharfen Grat zum Col du Midi abzusteigen. Nach rund 45 Minuten erreichen wir die Cosmiques-Hütte, die gottseidank über einen geräumigen Trockenraum verfügt, wo wir sofort den Rest unserer feuchten Ausrüstung ausbreiten. Später am Nachmittag tritt die angekündigte Wetterbesserung ein und entlässt unser nächstes Ziel - den Mont Blanc du Tacul (4248 m) - aus den Wolken. Schon jetzt können wir erkennen, dass die von Eisbrüchen durchzogene Nordwand ziemlich viel Neuschnee aufweist. Wir werden also morgen eine neue Aufstiegsspur anlegen müssen. Diese Spur werden wir aber auch für unsere Mont Blanc-Besteigung brauchen, da wir unterhalb des Mont Blanc du Tacul und des Mont Maudit zum Mont Blanc aufsteigen wollen.

Refuge des Cosmiques (3613 m)

Trotz der quälenden Rückenschmerzen kann man die Nacht im Lager als angenehm bezeichnen. Noch vor Tagesanbruch wird gefrühstückt und schon bald stehen wir im Morgengrauen vor der Hütte. Der Weg zur Nordflanke des Tacul verläuft zuerst ziemlich eben dahin. In etwa in der Mitte der Flanke steigen wir auf, wobei wir eine bereits vorhandene Spur benutzen. Später führt uns Jürgen unterhalb gewaltiger Spaltenbrüche in einem weiten Bogen nach rechts. Das Wetter ist herrlich, die Bedingungen werden jedoch auf Grund des vom Wind verfrachteten Neuschnees der letzten Tage immer heikler. Jürgen versucht ständig eine möglichst gefahrfreie Aufstiegsroute zu finden, muss aber schlussendlich das Unternehmen aus Sicherheitsgründen abbrechen. Es hat auch gar keinen Sinn, einen Weg zum Gipfel des Mont Blanc du Tacul zu suchen, da am Col Maudit die gleichen Bedingungen herrschen, was die Besteigung des Mont Blanc über diese Route unmöglich macht. Jürgen teilt uns daher den geänderten Besteigungsplan mit, der so aussieht: sofort umdrehen und hinunter nach Chamonix! Dort fahren wir mit unseren Autos ins 25 km entfernte St. Gervais les Bains, von dort mit der Zahnradbahn ("Tramway du Mont Blanc") bis zur Endstation "le Nid d`Aigle", von wo wir dann zur "Refuge de Tete Rousse" aufsteigen. Von dieser Hütte werden wir dann über die Normalroute ("Gouter-Route") den Mont Blanc in Angriff nehmen.
Gesagt - getan und schon ein paar Stunden später steigen wir tatkräftig den Steig hinauf zur Tete Rousse-Hütte. Schon beim Aufstieg wissen wir, dass die Hütte voll ist und wir wahrscheinlich im Speiseraum am Boden schlafen werden müssen. Obwohl die Hütte so gut wie neu ist, funktionieren weder die Toilettenanlagen noch die Wasserversorgung. Ansonsten ist die Refuge ganz ordentlich beisammen, das Essen genießbar und Bier gibts sowieso immer und überall (was die Hauptsache ist)! Zuletzt erhalten wir noch die (gute?) Nachricht, dass wir doch noch Schlafplätze im Lager bekommen und zwar ganze 2 Stück für 4 Personen. Jürgen bestimmt daher, dass wir drei uns die beiden Lagerplätze teilen sollen und er selbst am Fußboden schlafen wird.

Es ist 1 Uhr nachts, Jürgen weckt uns. Wir kriechen aus dem engen Lager und schlüpfen in unsere Kleider. Minuten später stehen wir im Speiseraum der Hütte, wo die Küchenmannschaft soeben die übrigen Schläfer aufweckt, damit die Tische und Bänke für das Frühstück gestellt werden können. Spätestens jetzt sind wir doch froh, einen Lagerplatz erhalten zu haben. Gleichzeitig mit dem Frühstück erhalten wir unsere Thermosflaschen mit dem tags zuvor bestellten Marschtee. Um 2 Uhr sind wir vollzählig abmarschbereit. Gleich hinter der Hütte legen wir die Steigeisen an und steigen den Glacier de Tete Rousse hinauf bis zum Einstieg in das Grand Couloir. Dieser Blockgrat führt direkt hinauf zur "Refuge de l`Aig. du Gouter" (3817 m) und stellt gleich zu Anfang den schwierigsten Teil der Besteigung dar. Mit Steigeisen an den Schuhen klettern wir die nächsten 1 1/2 Stunden den Blockgrat hinauf, bis wir um 4 Uhr die Hütte erreichen. In weitem Zickzack sehen wir über uns die Stirnlampenlichter der übrigen Bergsteiger. Die meisten sind direkt von der Gouter-Hütte gestartet und dementsprechend weit vor uns. Nach ein paar Schlucken heißen Tee wenden wir uns nun dem "Dome du Goute" zu. Den steigen wir aber nicht hinauf, sondern umgehen ihn nordseitig, um in weiterer Folge in das Col du Dome abzusteigen. Von hier führt uns ein Schneegrat hinauf zum "Refuge-Bivouac Vallot" (4362 m), dessen Blechverkleidung im aufkommenden Morgenrot glänzt. Wir machen unsere Stirnlampen aus und marschieren weiter dem luftigen Bosses-Grat zu. Dieser zieht in langen, zum Teil luftigen Bögen dem Gipfel des Mont Blanc zu. Müdigkeit macht sich in den Beinen breit, immer öfter schweift der Blick nach vor, ob die Qual nicht doch bald ein Ende hat, aber es geht weiter bergauf!
8:30 Uhr, der Schneegrat wird flacher und plötzlich eröffnet sich vor uns ein langes, breites Schneefeld. Über uns ist nur mehr der tiefblaue Morgenhimmel. Nach 6 1/2 Stunden und über 1600 Höhenmeter Aufstieg haben wir den Gipfel des Mont Blanc (4810 m) erreicht. Wir beglückwüschen uns gegenseitig, machen die obligatorischen Fotos und brechen bald danach zum Abstieg auf. Der hat es nocheinmal in sich, beträgt doch der Höhenunterschied zur Bahnstation le Nid d`Aigle beträgt über 2400 m! Den Blockgrat des Grand Couloir bewältigen wir dieses Mal aber ohne Steigeisen. Kurz vor dem Refuge de Tete Rousse müssen wir mit der Querung einer Eisrinne die gefährlichste Stelle des Tages passieren. Durch die Sonnenstrahlung ist die Rinne extrem steinschlaggefährdet. Während wir die Steigeisen anlegen, können wir beobachten, wie faustgroße Felsbrocken die Eisrinne heruntersausen. Dementsprechend angespannt stehen wir am Beginn der Rinne, sehen angestrengt nach oben und rennen dann so schnell es geht hinüber zu den rettenden Felsen, wohl wissend dass ein Straucheln oder Ausrutschen fatale Folgen haben könnte. Wir gelangen gottseidank heil hinüber und legen endgültig unsere Steigeisen ab.

Gut eineinhalb Stunden später und rund 11 Stunden nach unserem Aufbruch von der Tete Rousse-Hütte langen wir bei der Bergstation der Zahnradbahn ein; unsere Mont Blanc-Besteigung ist zu Ende! Jetzt können wir mit einem Bier auf unseren Erfolg anstoßen und uns auf die bevorstehende Dusche (die erste seit 5 Tagen!) freuen.

Beim Abendessen kommt bei uns allen der Wunsch hoch, gemeinsam weitere Berge zu besteigen. Vielleicht im nächsten Jahr, vielleicht wieder in Chamonix?
Wer weiß es, wir werden sehen ....



Nachtrag:
Günter Schellhase - seines Zeichens Journalist der Kieler Nachrichten - hat über diese Tor einen Essay verfasst, der am 6.10.2007 im Wochendjournal seiner Zeitung veröffentlicht wurde. Weiter zum Essay"Montblanc meditativ"



aktualisiert: 19.10.2007
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